Zwischen Migrationspolitik, Kostendiskussionen und Menschenrechten — Die Evaluation der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden
Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich intensiv mit der Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden in Deutschland, und speziell in Halle(Saale) beschäftigt. Dieser Text stellt in Essayform meine Forschung dar, und was sich daraus lernen lässt.

Die medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Deutschland wird seit langem medial, politisch und gesellschaftlich kontrovers diskutiert. Bis mindestens in die Mitte der 1980er Jahre lässt sich zurückverfolgen, wie dieses Thema als Teil einer größeren Debatte um Sozialleistungen für Geflüchtete fast regelmäßig auftaucht. Auch die Konfliktlinien und Argumentationen wiederholen sich dabei. Gegenüberstehend finden sich dabei zumeist zwei zentrale Aspekte: einerseits werden migrationspolitische und ökonomische Argumente genannt und gefordert Migration allgemein einzuschränken und speziell die staatlichen Aufwendungen für Sozialleistungen an Asylsuchende zu reduzieren. Die Debatte wird von Gegner*innen eines gleichberechtigten Zugangs zu medizinischer Versorgung für Asylsuchende dabei nicht erst seit Friedrich Merz‘ Zahnarztkommentaren als Plattform für populistische und rassistische Positionen missbraucht. Andererseits wird die unbedingte Achtung der Menschenrechte als Grundlage der europäischen Werteordnung bekräftigt.
Die Befürworter*innen einer gleichberechtigten medizinischen Versorgung, häufig im Gesundheitssektor verortet, stützen sich neben den moralischen Grundwerten auch auf rechtliche Grundlagen. Mit dem §12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erkennt Deutschland seit der Ratifizierung 1973 an, dass jeder Mensch das Recht auf den „höchsten erreichbaren Gesundheitszustand“ hat, und verpflichtet sich dazu, neben dem freien Zugang zu medizinischer Versorgung auch gesellschaftliche Voraussetzungen zu schaffen, die es allen Menschen möglich machen, diesen Zustand zu erreichen. Mit der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU haben sich die Staaten der EU außerdem dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Asylsuchende die „erforderliche medizinische Versorgung“ erhalten.
Ausgrenzung wird Gesetz wird Ausgrenzung
Diese Debatte hat sich im Gesetzgebungsprozess in Deutschland niedergeschlagen. Das rassistische gesellschaftliches Klima der Nachwendejahre, entlud sich nicht nur in Gewalttaten, wie den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen oder den Brandanschlägen in Mölln und Solingen. Die damalige Regierung aus CDU und FDP nutzte dieses Klima mit Verweis auf die gestiegenen Zahlen von Geflüchteten aus dem zusammenbrechenden Jugoslawien populistisch aus und goss es 1993 mit dem Asylbewerberleistungsgesetz in Gesetzesform. Das Asylbewerberleistungsgesetz schließt Asylsuchende aus den regulären sozialen Sicherungssystemen aus. Es beschreibt einen reduzierten Leistungsumfang und beauftragt die Kommunen mit dessen Implementierung. Neben den Sozialleistungen für Unterkunft und Lebensunterhalt definiert das Asylbewerberleistungsgesetz speziell auch mit zwei Paragraphen einen unscharf eingeschränkten Umfang für medizinische Leistungen.
Als Begründung dienten für die Verabschiedung des Gesetzes die zwei bereits bekannten Hauptargumente. Zum einen sollten die öffentlichen Ausgaben für Sozialleistungen an Asylsuchende reduziert werden, zum anderen sollte die Maßnahme als Abschreckung dienen, und so Anreize zur Flucht oder Migration nach Deutschland verringern. Diese politische Weichenstellung bleibt bis heute umstritten. Die Zahlen der Asylsuchenden in Deutschland folgten seitdem eher der weltpolitischen Gemengelage, als den wiederholten Einschränkungen der Sozialleistungen an Geflüchtete. Ob es angemessen ist, die soziale und medizinische Grundversorgung der hier lebenden Menschen einzuschränken, um Migration zu verhindern, wird gesellschaftlich kontrovers diskutiert.
Das Asylbewerberleistungsgesetz führt einen bemerkenswerten Sonderfall in die ökonomischen Strukturen des Gesundheitssystems ein. Nicht ein bundesweites solidarisches Versicherungssystem trägt die Kosten der medizinischen Versorgung, sondern die kommunalen Haushalte. Die Kommunen erhielten durch das Asylbewerberleistungsgesetz die Aufgabe, die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden zu verwirklichen und gingen darin sehr unterschiedliche Wege.
Manche Kommunen entschieden sich, mit den gesetzlichen Krankenkassen zu kooperieren und elektronische Gesundheitskarten auszugeben, mit denen die Kostenerstattung gleich wie für gesetzlich versicherte Patient*innen funktioniert. Die Mehrheit der Kommunen — so auch Halle (Saale) — haben jedoch das Behandlungsscheinsystem implementiert. Hier müssen Asylsuchende quartalsweise beim Sozialamt spezielle Behandlungsscheine beantragen, die dann, in den Praxen vorgelegt, diesen zusichert, dass die Kosten für grundlegende Behandlungen nach Asylbewerberleistungsgesetz übernommen werden. Weitergehende Verordnungen wie etwa Physiotherapie, Hilfsmittel oder Krankenhauseinweisungen müssen jedoch in einem weiteren Schritt beim Sozialamt beantragt werden. Dort prüft und bescheidet ein*e medizinisch nicht geschulte*r Sachbearbeiter*in den Antrag, bevor die Behandlung erfolgen kann.
Dieser Gang durch die Bürokratie behindert Asylsuchende zusätzlich, weil er unter Umständen krank absolviert werden muss. Wer neu angekommen ist, noch kein Deutsch spricht und die deutsche Bürokratie auf diese Art und Weise kennen lernen muss, bekommt hier einige zusätzliche Steine in den Weg gelegt. Auch bei den behandelnden Ärzt*innen führen diese Behinderungen zu einem grundlegenden Konflikt. Einerseits sind sie der ärztlichen Ethik und dem Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet, andererseits erschweren die beschriebenen strukturellen und rechtlichen Hemmnisse es ihnen, auch Asylsuchende nach medizinischen Gesichtspunkten gleich zu behandeln. Dies führt auch bei den Behandelnden zu viel Unsicherheit und Zurückhaltung.
Die Debatte auf die Füße stellen
Bemerkenswert bleibt, dass im politischen Diskurs um die medizinische Versorgung von Asylsuchenden bislang zwar viel über die Geflüchteten gesprochen, aber weder deren Perspektive noch die der Behandelnden berücksichtigt wird. Nicht nur das, sie ist auch kaum bekannt. Nach über 30 Jahren Asylbewerberleistungsgesetz stehen immer noch sehr wenige wissenschaftliche Erkenntnisse darüber zur Verfügung, welche medizinische Versorgung Asylsuchende tatsächlich erhalten und welche Auswirkungen diese Ausgrenzungen auf die betroffenen Menschen und ihre Gesundheit haben. Diese Leerstelle war der Ausgangspunkt für mein Forschungsprojekt.
Ich wollte möglichst vollständig zeigen, welche medizinischen Leistungen Asylsuchende tatsächlich in Anspruch nehmen, welche Krankheiten bei ihnen diagnostiziert werden, und der Kostendebatte die bislang überwiegend fehlende Grundlage liefern. Die Quelle für eine solche Untersuchung fand ich in Abrechnungsdaten der medizinischen Versorgung. Alle, die Asylsuchende medizinisch behandeln, müssen eine Rechnung an das kommunale Sozialamt stellen, die neben den erbrachten Behandlungen, sowie der dafür abgerechneten Kosten auch sämtliche begründenden Diagnosen enthalten müssen. Diese Daten sind besonders vollständig, da nicht davon auszugehen ist, dass im medizinischen Sektor eine relevante Anzahl von Leistungen ohne Abrechnung erbracht wird. Den kommunalen Sozialämtern, die für die Kostenübernahme zuständig sind, liegen damit nicht nur die Rechnungen mit den Details zu Diagnostik und Behandlung vor, sondern auch demographische Register über leistungsberechtigte Personen, unabhängig davon, ob sie medizinische Leistungen erhalten oder nicht. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Sozialamt der Stadt Halle (Saale) konnte ich Einsicht in diese Akten halten und so die gesuchten Daten aufnehmen.
Ordnung ins (Akten-)Chaos bringen
Damit konnte ich in meine Studie alle 4107 Asylsuchenden einschließen, die 2015 für mindestens einen Tag in Halle (Saale) nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt waren. Das betrifft Menschen in den ersten 18 Monaten zwischen der Einreise nach Deutschland bis zum positiven Entscheid über den Asylantrag oder ihrer Abschiebung. Diese kamen aus insgesamt 67 verschiedenen Herkunftsländern, jedoch — wie für 2015 typisch — etwa zur Hälfte aus Syrien. Auch die breite Altersspanne — so wurde die jüngste Person während des Untersuchungszeitraums geboren, während die älteste über 90 Jahre alt war — zeigt die enorme Diversität der Gruppe der Asylsuchenden. Für diese Asylsuchenden erhob ich digital alle 16 095 für 2015 vorliegenden Abrechnungsdokumente inklusive Leistungen, Diagnosen, und Behandlungskosten und konnte so Häufigkeit, Verteilung und Art beispielsweise von Krankheiten, Medikamentenverordnungen, Krankenhausaufenthalten, Krankentransporten, Hebammen- oder Zahnarztleistungen aufschlüsseln.
In einem ersten Schritt wertete ich Kontakte zum ambulanten Sektor des Gesundheitswesens aus. Es zeigte sich, dass nur etwa zwei Drittel der Asylsuchenden in einem Jahr mindestens einmal eine ärztliche Praxis aufsuchen. Dies stellt einen großen Unterschied zur gesetzlich versicherten Bevölkerung dar, von der über 90% mindestens einmal im Jahr in einer Praxis vorstellig werden. Die am häufigsten aufgesuchte Fachrichtung im ambulanten Bereich war in meiner Studie die Allgemeinmedizin mit einer Jahresprävalenz von etwa 45%. Überraschungen zeigten sich jedoch in der Reihenfolge der anderen Fachrichtungen. Denn schon an dritter Stelle der ambulanten Anlaufstellen finden sich Notaufnahmen, die von ungefähr einem Viertel der Asylsuchenden mindestens einmal im Jahr aufgesucht werden. Am traurigen Schluss finden sich Psychotherapeut*innen, mit denen nur 0,1% der Asylsuchenden in einem Jahr Kontakt haben. Eine Zahnarztpraxis suchten in einem Jahr 24% der Asylsuchenden auf.
Das Spektrum der festgestellten Erkrankungen blieb auf den ersten Blick unauffällig. So waren in den ambulanten Fällen vor allem typische allgemeinmedizinische Symptombilder häufig, insbesondere akute Infektionen der oberen Atemwege, Bauchschmerzen und Rückenschmerzen. Impfungen, Kontrazeptive Maßnahmen und Vorsorgeuntersuchungen waren ebenfalls unter den zehn häufigsten Behandlungsanlässen. In der Literatur wird häufig berichtet, dass psychische Erkrankungen unter Asylsuchenden vermehrt auftreten. Dies konnte ich in den Abrechnungsdaten jedoch nicht reproduzieren, so wurden die Diagnosen für Reaktionen auf schwere Belastungen, für Angststörungen oder Depressionen in meiner Erhebung— für mich unerwartet — durchgängig seltener gestellt als in der gesetzlich versicherten Bevölkerung.
Auch die Häufigkeiten der verordneten Medikamente waren überraschend. Das am häufigsten verschriebene Medikament war in meiner Studie Ibuprofen als gängiges Schmerzmittel, das zusammen mit den anderen Schmerzmitteln über 21% der Verordnungen ausmachte. Zwar werden diese Medikamente als rein symptomatische, nicht heilende Therapie auch für die gesetzlich versicherte Bevölkerung häufig verschrieben, doch machten sie hier im gleichen Zeitraum zusammen nur etwa 15% der Verschreibungen aus.
Der Stadt Halle (Saale) entstanden in 2015 Kosten für die medizinische Behandlung in Höhe von durchschnittlich 1584€ pro Jahr und Asylsuchendem. Für die Versorgung von Asylsuchenden entstehen also weniger Kosten als für die gesetzlich versicherte Bevölkerung mit über 3000€ pro Person und Jahr. Dies ist zum Teil der unterschiedlichen Altersstruktur geschuldet, da die Asylsuchenden durchschnittlich eher jünger sind als die gesetzlich Versicherten. In der genaueren Analyse der entstehenden Kosten zeigten sich jedoch Auffälligkeiten. So machen ambulante Arztbesuche nur etwa 13% und deren verschiedene Verordnungen zusammen 30% der Kosten aus. Nur etwa 2% der Kosten entstanden durch Zahnarztbehandlungen. Dagegen wurde mehr als die Hälfte der Kosten durch Krankenhausbehandlungen verursacht, und hiervon mit 66% der größte Teil durch notfallmäßige stationäre Aufnahmen. Dies stellt eine große Abweichung von den Berichten der Krankenkassen dar, dass für die regulär versicherte Bevölkerung überhaupt nur etwa ein Drittel der Gesamtkosten im stationären Sektor entstehen.
Über-, Unter-, Fehlversorgung?
Eine Frage verfolgte mich während meiner Analysen: Warum fanden sich die vermuteten hohen Zahlen von psychischen Erkrankungen in den Abrechnungsdaten nicht wieder? Waren die Asylsuchenden in Halle nicht davon betroffen? Da mein Datensatz nur Menschen enthielt, die es unter den eingangs geschilderten Bedingungen in eine Praxis geschafft hatten, konnten ich keine Rückschlüsse darauf ziehen, welche Krankheiten unter den Asylsuchenden tatsächlich vorherrschen, sondern nur, welche in einer Arztpraxis diagnostiziert werden. Um dieser Frage nachzugehen, kooperierte ich für eine zweite wissenschaftliche Publikation mit einem Kollegen, der einen anderen Ansatz gewählt hatte, um die Krankheitslast unter Asylsuchenden zu bestimmen. Gemeinsam führten wir im Sommer 2015 in den Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende in Halle (Saale) mithilfe eines in die Muttersprachen übersetzten Screeningfragebogens eine Erhebung durch, um den Anteil der Asylsuchenden mit Symptomen von Angststörungen, Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) oder Depression zu bestimmen.
Dabei gingen wir davon aus, dass zumindest ein ärztliches Gespräch zur näheren Prüfung einer solchen Diagnose durchgeführt werden sollte, falls Menschen in diesen Screenings auffällige Symptome aufwiesen. Der so definierte Behandlungsbedarf schockierte uns. Während ich in den Abrechnungsdaten gezeigt hatte, dass nur etwa 4,9% der Asylsuchenden an irgendeiner Stelle im Gesundheitswesen eine Diagnose für Angststörungen, PTBS oder Depression erhalten hatten, stellten wir im Screening bei 59,4% der Asylsuchenden auffällige Werte fest. Das bedeutet, dass zwar zwei Drittel der Asylsuchenden behandlungsbedürftig sind, aber von diesen nur eine*r von 12 auch eine Diagnose erhält. Als wir vor diesem Hintergrund zurück zu den Abrechnungsdaten blickten, zeigte sich, dass von diesen Wenigen wiederum nur weniger als die Hälfte irgendeine zielgerichtete Therapie dieser Erkrankungen erhält.
Schlechte Behandlung ist teure Behandlung
Aus den verschiedenen Analysen kristallisiert sich so nach und nach ein deutliches Bild heraus. Die ambulante medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Halle (Saale) ist mangelhaft. Sowohl die niedrige Quote von Asylsuchenden die überhaupt reguläre ambulante medizinische Versorgung in Anspruch nimmt als auch der hohe Anteil von symptomatischer Schmerztherapie an den verordneten Medikamenten sprechen dafür. Anhand des Vergleichs der Abrechnungsdaten mit den Screeningdaten zu psychischen Erkrankungen konnten wir eine massive Unterversorgung in diesem Bereich nachweisen. Demgegenüber ergibt meine Untersuchung im Vergleich zur regulär versicherten Bevölkerung einen höheren Bedarf im Bereich der Notfallversorgung, sowohl ambulant als auch stationär. Ich schlussfolgere daraus, dass diese Verschiebung hin zu später, ungeplanter, notfallmäßiger und oft stationärer Behandlung eine Folge des erschwerten Zugangs zu präventiver, ambulanter, geplanter medizinischer Versorgung ist.
Diese Verschiebung bedeutet nicht nur unnötige Krankheitslast und Leid für Asylsuchende in Deutschland. Sie hat auch Konsequenzen für die Kosten medizinischer Versorgung. Stationäre, notfallmäßige Behandlungen sind regelmäßig erheblich teurer als frühzeitige ambulante Versorgung. Umgekehrt könnte eine bessere medizinische Versorgung mit einem Fokus auf Prävention und Früherkennung sowie eine niedrigschwelligere Anbindung an das Gesundheitssystem sowohl die Gesundheit von Asylsuchenden verbessern als auch die Kosten für deren medizinische Versorgung verringern. Die Forderung nach einer Gewährleistung der Menschenrechte und der Einhaltung gesetzlichen Verpflichtung Deutschlands, allen Menschen in Deutschland Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen, ist also nicht konträr zu der Forderung, die Kosten der Versorgung zu senken. Im Gegenteil, sie gehen Hand in Hand.
Es muss nichts so bleiben wie es ist.
Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Asylsuchenden können auf vielen Ebenen ansetzen und von verschiedenen Akteur*innen umgesetzt werden. Viele Ärzt*innen bemühen sich darum eine gleichwertige Behandlung für Asylsuchende möglich zu machen, und sind dabei immer wieder erfolgreich. Unermüdliche zivilgesellschaftliche Initiativen bieten wertvolle Unterstützung, sie vermitteln ehrenamtliche Dolmetscher*innen, stellen mehrsprachiges Informationsmaterial her und begleiten im Gesundheitswesen. Da die beschriebenen Hürden im Zugang zu medizinischer Versorgung aber struktureller Art sind, können Anstrengungen einzelner Akteur*innen nur ein Kampf gegen Windmühlen bleiben.
Eine wirkliche Verbesserung der Situation kann nur durch einen Abbau der artifiziellen rechtlichen und praktischen Hemmnisse erreicht werden. Hier haben die Kommunen einigen Spielraum. Vorbild könnten die Kommunen in Brandenburg, Berlin, Hamburg, Bremen und Rheinland-Pfalz sein, die das Behandlungsscheinmodell bereits aufgegeben und sich zur Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylsuchende entschlossen haben. Diese ist funktionsgleich zu der der gesetzlichen Krankenversicherungen und macht eine zusätzliche Antragstellung und Sonderbehandlung in den Praxen so unnötig. Diese Maßnahme wurde wissenschaftlich evaluiert, und es zeigte sich, dass die Gesundheit von Asylsuchenden damit verbessert und administrative Kosten gesenkt werden konnten. In Halle (Saale) konnte ich zuletzt meine Forschungsergebnisse den Stadträt*innen vorstellen und hoffe so einen Prozess dazu angestoßen zu haben.
Die beschriebenen Mechanismen der Ausgrenzung wirken jedoch bundesweit. Grundlegend könnte deshalb der Abbau der Parallelstrukturen in den rechtlichen Grundlagen medizinischer Versorgung wirksam sein, um eine tatsächliche Gleichbehandlung allerPatient*innen zu ermöglichen. Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes würde eine enorme Bürde von Asylsuchenden und behandelnden Ärzt*innen nehmen und hätte das Potential, die Versorgung von Asylsuchenden nachhaltig zu verbessern. Auch Ärzt*innen sollten sich deshalb gemäß der Berufsethik und der Menschenrechte gesellschaftlich und politisch für Bedingungen einsetzen, die eine gleichberechtigte, evidenzbasierte Medizin und ein gesundes Leben für alle möglich machen.
Die beschriebenen Mechanismen der Ausgrenzung wirken jedoch bundesweit. Grundlegend könnte deshalb der Abbau der Parallelstrukturen in den rechtlichen Grundlagen medizinischer Versorgung wirksam sein, um eine tatsächliche Gleichbehandlung allerPatient*innen zu ermöglichen. Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes würde eine enorme Bürde von Asylsuchenden und behandelnden Ärzt*innen nehmen und hätte das Potential, die Versorgung von Asylsuchenden nachhaltig zu verbessern. Auch Ärzt*innen sollten sich deshalb gemäß der Berufsethik und der Menschenrechte gesellschaftlich und politisch für Bedingungen einsetzen, die eine gleichberechtigte, evidenzbasierte Medizin und ein gesundes Leben für alle möglich machen.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen des Asylbewerberleistungsgesetzes für die medizinische Versorgung nehmen diesem seine argumentative Grundlage. Es wird nun zu beobachten sein, welchen Weg die Gesetzgebung in Deutschland einschlagen wird. Werden sich die migrationspolitisch motivierten Einschränkungen der medizinischen Versorgung und der Grundrechte von Asylsuchenden fortsetzen? Oder werden wissenschaftliche Erkenntnisse und die Erfahrungen und Sicht der Asylsuchenden selbst im Gesetzgebungsprozess berücksichtigt werden? Der aktuelle Zyklus der Diskussion mit der Einführung der „Bezahlkarte“ für Asylsuchende lässt Böses ahnen. Dieses Konfliktfeld ist zum Sinnbild der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland geworden. Die Debatte bleibt unterdessen nicht abstrakt, sondern hat sich tief in die Strukturen des Sozialstaats eingegraben. Während die Gesellschaft um eine Haltung zu Migration ringt und Politiker*innen sich darüber populistisch profilieren, tragen Asylsuchende seit mehr als 30 Jahren die konkreten Folgen der Einschränkung ihrer Grundrechte an Leib und Leben.